Europe and the Mediterranean – Inclusion and Diversity

Europe and the Mediterranean – Inclusion and Diversity

Organisatoren
Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP) und das Bundesministerium für Äußeres
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
28.06.2006 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Elisabeth Kübler, Universität Wien / Lauder Business School, Wien

Das Konferenzprogramm teilte sich nach den Begrüßungsworten von Vertretern des Außenministeriums und des OIIP und einer unten noch genauer zu besprechenden Keynote Speach von Dan Diner in vier Themenblöcke, im Rahmen derer unter der abwechselnden Moderation der österreichischen Politikwissenschafter John Bunzl und Cengiz Günay die internationalen ReferentInnen ihre Paper präsentierten.

Dan Diner (Hebräische Universität Jerusalem / Universität Leipzig) benannte in seinem spannenden Eingangsvortrag Eastern Questions – Western Answers? – Oppositions and Entanglements zentrale Elemente der euro-mediterranen Beziehungen: die seit dem Abzug Großbritanniens aus Indien 1947 einsetzende Dekolonisierungswelle, das Ende des Kalten Krieges und somit der Wegfall einer Ordnungs- und Orientierungsmacht für die Staaten Nordafrikas, des Mittleren Ostens und Zentralasiens sowie die Tatsache, dass im Iran und zeitweise in Afghanistan islamistische Regime an die Macht kamen bzw. sich in Saudi-Arabien der Wahhabismus durchsetzen konnte. Diner, dessen Ansicht zufolge der Westen nichts anderes als säkularisiertes Christentum sei, ortete die Herausforderung der Modernität inmitten der muslimischen Gesellschaften und der muslimischen Diaspora. Insbesondere Letztere sei gefordert, eine Transformation des Islam in eine öffentlich-säkularisierte und eine privat-religiöse Sphäre vorzunehmen, wie dies JüdInnen in nichtjüdischer Umgebung tun mussten. Diner richtete seinen Appell aber auch an die nichtmuslimischen EuropäerInnen, die ihr kollektives Gedächtnis sowohl für die Erzählungen „der Anderen“ öffnen bzw. den Kolonialismus als konstitutives Moment für Europa mitdenken sollten.

Das erste Panel vereinte unter dem Titel East and West – The Role of Perceptions in Euro-Mediterranean Relations drei Vorträge von George Joffe (King’s College, London), Karim El-Gawhary (Korrespondent des Österreichischen Rundfunks in Kairo) und Hayal Akarsu (Sabanci Universität, Istanbul).

George Joffe referierte über Mutual Perceptions and Images (Orientalism versus Occidentalism), ging jedoch über Edward Saids Orientalismus-Konzept hinaus. Joffe konstatierte einerseits das Scheitern des arabischen Nationalismus – nicht aber des Islam – in Bezug auf die Effizienz von Ökonomie und politischen Systemen und der Unterstützung der PalästinenserInnen, andererseits die Unzulänglichkeit des Westens bei seinem wirtschaftlichen und politischen Engangement im arabischen Raum, wobei Joffe auf das Ziel der EU-Nachbarschaftspolitik anspielte, sich an den europäischen Peripherien einen „ring of friends“ zu schaffen. Der Aufstieg des Islamismus als Alternativmodell erfolge dabei „von unten“ zum Zwecke der Gesellschaftskontrolle als auch „von oben“ durch die Machtübernahme im Staat (Bsp. Iran und Afghanistan). Joffe resümierte, dass gerade das europäische Projekt der Toleranz und des Säkularismus sich schwer täte, mit im Rahmen von Migration hervorgerufener kultureller Differenz umzugehen.

Karim El-Gawhary lieferte in seinem Vortrag Arab Media and the Cartoon Controversy einen Erfahrungsbericht über die Demonstrationen in Ägypten in Folge der Veröffentlichung der dänischen Mohammed-Karikaturen. El-Gawhary sah darin ein Aufbrechen des beständigen Gefühls der Machtlosigkeit in arabischen Gesellschaften sowohl gegenüber den eigenen Regimes als auch gegenüber dem Westen.

Die Ethnologin Haysal Akarsu berichtete von ihrem Forschungsprojekt How the World is Ramadanized: Dialogue of Religious and National Identifications within the Boundaries of „Culture“. Sie untersuchte eine türkische Fernsehserie, bei der muslimische Familien weltweit während des Ramadan gefilmt wurden. Akarsu kam zum Schluss, dass bei den Familien in der muslimischen Diaspora mehrschichtige Identitäten vorzufinden sind, die sowohl nationale Verbindungen mit der jeweiligen Aufnahmegesellschaft als auch religiöse Identifizierungen mit der Gemeinschaft aller MuslimInnen (Ummah) aufweisen.

Auf dem zweiten Panel Muslim Communities in Europe sprachen Edith Binderhofer (Historikerin, Wien), Patrick Haenni (International Crisis Group, Beirut) und Matti Bunzl (Univeristy of Illinois, Urbana-Champaign).

Edith Binderhofers Vortrag Middle Eastern Women in Vienna and German speaking Women in the Middle East. An Oral History Approach war der wissenschaftlich Problematischste der gesamten Konferenz. So zog Binderhofer aus nur sechs Interviews mit in Wien lebenden Türkinnen, Iranerinnen, Irakerinnen und Palästinenserinnen sowie zwölf Interviews mit im Libanon, Iran, Ägypten und Syrien lebenden deutschsprachigen Frauen äußerst weitreichende und verallgemeinernde Schlüsse über die Situation von – ihrer Diktion folgend – „orientalischen“ Frauen in Österreich und deutschsprachigen Frauen im „Orient“. Außerdem übernahm sie die Wahrnehmung einiger ihrer deutschsprachigen Interviewpartnerinnen in den muslimischen Ländern, wonach die Beschützung und Bevorzugung der deutschsprachigen Frauen durch „orientalische“ Männer am Arbeitsplatz aufgrund deren westlicher Herkunft eine Form des „positiven Rassismus“ sei, ohne dabei die dieser Vorstellung innewohnenden Klischees aufzubrechen.

Patrick Haenni gelang mit Revolt, Jihadism and Depolitization: The Example of Young French Muslims ein interessanter Einblick in die Lage muslimischer Jugendlicher in Frankreich. Er identifizierte die Begriffe „Kommunitarismus“ und „innermuslimische Solidarität“ als fehlerhaft zur Beschreibung der Situation der „jeunes beurs“. Die muslimischen Jugendlichen würden vielmehr eine Brücke zwischen neuer Religiosität und westlichem Massenkonsum und Populärkultur schlagen, was sich in Phänomenen wie islamischer Streetwear, islamischen Logos und islamischem Rap äußere. Die einzigen, die eine Politik des Kommunitarismus verfolgen würden, seien laut Haenni die eigentlich dem republikanischen Ideal verpflichteten Lokalbehörden.

Vergleiche und Unterschiede zwischen der Situation muslimischer und jüdischer Gemeinschaften bzw. den jeweils gegen sie gerichteten Vorurteilsstrukturen arbeitete Matti Bunzl in seinem äußerst gelungenen Vortrag Debating Antisemitism and Islamophobia in the New Europe heraus. Bunzl warnte davor, die von der Europäischen Rassismusbeobachtungsstelle (EUMC) propagierte Sicht, dass Antisemitismus und Islamophobie idente Erscheinungsformen des „othering“ im christlichen Europa seien, zu übernehmen. Er zeigte vielmehr deutliche Differenzen auf: so gäbe es heute in Europa selbst im extremistischen Spektrum kaum politische Kräfte, die für eine Abschiebung von JüdInnen plädierten, während diese Forderung gegen MuslimInnen durchaus präsent sei. Auch würden jene muslimischen Jugendlichen, die JüdInnen und jüdische Einrichtungen verbal oder tätlich angreifen, im Gegensatz zum „alten Antisemitismus“ vor der Shoah keine ethnisch reinen Staaten zu errichten suchen, sondern vielmehr JüdInnen generalisierend mit dem verhassten Westen identifizieren. Dazu kommt ein im politischen Mainstream der EU angesiedelter Diskurs, der in JüdInnen ein Vorbild für den europäischen Supranationalismus ortet, während ein möglicher EU-Beitritt der Türkei oftmals mit der Unvereinbarkeit des Islam mit der europäischen „Zivilisation“ abgetan wird.

Unter dem Titel The Debate on Political Reforms and Democracy in the Southern Mediterranean diskutierten auf dem dritten Panel Alexander Flores (Hochschule Bremen) und Mohamed Mosaad (Psychiater und Ethnologe, Cairo).

Alexander Flores setzte sich mit liberalen arabischen Intellektuellen und ihren Reformvorschlägen kritisch auseinander. Der Titel seines Referates Strange Bedfellows? Arab Reform and the Role of the West gründet in den häufigen Verquickungen von den Reformansätzen jener Intellektuellen mit handfesten westlichen Interessen, vor allem mit denen US-amerikanischer Neo-Konservativer. Nichtsdestotrotz unterstützte Flores selbstkritische intellektuelle Debatten, die letztlich zu einer im demokratischen Sinne erfolgenden Stärkung der arabischen Gesellschaft gegenüber externen Einflussfaktoren führen können.

Der Vortrag New Islamic Discourses in the Context of Globalization: A Chance for Democratization from Inside?, in dem Mohamed Mosaad besonders auf die präsente ägyptische Dichotomie von paternalistischer Einheitspartei und aufstrebendem Islamismus fokussierte, war über weite Strecken unorganisiert und phasenweise unverständlich. Umso mehr ist aber eine von Mosaad seinen Ausführungen vorangestellte Kritik an seinen VorrednerInnen hervorzuheben: zu Recht bemängelte er die fast völlig ausgebliebene Besprechung des Kapitalismus als prägenden Faktor der euro-mediterranen Beziehungen.

Das letzte Panel stand unter der Überschrift Turkey and Europe. William Hale (School of Oriental and African Studies – SOAS, London) und Binnaz Toprak (Bosphorus University, Istanbul) informierten in zwei höchst differenzierten Beiträgen über die Türkei im Lichte bevorstehender EU-Beitrittsverhandlungen.

In Religion, Conservatism and Democracy: The Case of the AKP in Turkey diskutierte William Hale das Beispiel der regierenden AKP als muslimisch-demokratische und europaorientierte Partei. Diese entwickelte sich in jenem für die Türkei spezifischen Umfeld, in dem die Sharia nicht mehr als Rechtsquelle gilt und staatliche Instanzen den sunnitischen Islam kontrollieren. Die AKP entstand somit als Reaktion auf den staatlich verordneten Säkularismus und als Ergebnis einer Liberalisierung der türkischen Gesellschaft. Hale resümierte daraus, dass die AKP im Gegensatz zu den meisten europäischen konservativen Parteien eine Protestbewegung ist, die gerade nicht auf die Absicherung des Status quo abstellt, jedoch in Kongruenz mit ihren europäischen Schwesterparteien einen Schwerpunkt auf die Bewahrung traditioneller Werte wie Familie, Schule, Besitz, Religion und Moral legt. Eine Bruchlinie verläuft innerhalb der AKP Wirtschafts- und Sozialpolitik, da einerseits staatliche Wohlfahrtsleistungen ausgeweitet werden, andererseits die unternehmerische Mittelklasse durch einen Marktliberalismus gestärkt werden soll.

Die Politikwissenschafterin Binnaz Toprak griff mit Turkey between Modernity and Tradition mitten in die Debatte um die „Europareife“ der Türkei ein. Bezugnehmend auf den Vorsitzenden des Verfassungskonvents Valéry Giscard d’Estaing stellte Toprak fest, dass vor allem eine religiös-kulturelle Definition von Modernität seitens der EU vorgeschoben würde, um die Aufnahme der Türkei zu erschweren bzw. zu verhindern. Sie zitierte anschließend aus mehreren Studien, die aufzeigen, dass in der Türkei eine Zustimmung von 80 Prozent für den Kemalismus und eine Ablehnung von 70 Prozent gegenüber religiösen Parteien herrscht. Verbesserungen für Frauen im rechtlichen Bereich würden einer eklatanten Unterrepräsentation im Parlament und Lohnungleichheiten sowie einem Stadt-Land-Gefälle gegenüberstehen, wobei Toprak hier einen rapiden Transformationsprozess ortete.

Die Veranstaltung Europe and the Mediterranean – Inclusion and Diversity brachte eine Reihe großteils ausgezeichneter ExpertInnen zusammen, die politisch und wissenschaftlich hochbrisante Fragestellungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchteten. Auch die nach jedem Panel stattfindenden Diskussionsrunden verliefen in einer außergewöhnlich kollegialen Atmosphäre, wenngleich auch manche Kommentare in Ko-Referate ausuferten.


Redaktion
Veröffentlicht am
21.07.2006
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts